4 Intelligenz

Erstes Problem: Überleben in einer Nichtüberlebenssituation.

Zweites Problem: Existenz einer mobilen Schadstelle, nur durch ihren vorübergehenden Dämpfungseffekt auf die Elemente bemerkbar.

Jedes Problem schien für sich selbst unlösbar zu sein.

Aber zusammen genommen gab es eine Möglichkeit. Die Existenz mobiler Nichtmustereinheiten implizierte, daß eine Nichtmusternatur des Überlebens möglich war. Die Natur der Schadstelle mußte verstanden werden, dann würde sich daraus vielleicht das Überleben ergeben.

OX' Originalschaltungen hatten Schwierigkeiten, diese Folgerung zu akzeptieren, deshalb modifizierte er sie. Die nagende Qual, die durch diese Modifikationen hervorgerufen wurde, diente als Warnung, daß er einen Nichtüberlebenskurs verfolgte. Aber spielte das eine Rolle, wenn alle sich anbietenden Wege zum Nichtüberleben führten?

Er wandte seine volle Aufmerksamkeit dem Schadstellenproblem zu. Zuerst registrierte er die vollständigen Umrisse jedes Schadstellenfleckens, um eine genaue Vorstellung von seiner Form zu bekommen. Einer war im Grunde stationär, ein zentraler Klumpen mit Auswüchsen, die sich umherbewegten. Ein anderer bewegte sich in zwei Dimensionen langsam von Örtlichkeit zu Örtlichkeit und behielt dabei seine Form bei. Der dritte war der vielversprechendste, weil er sich schnell in drei Dimensionen bewegte und bei der Bewegung seine Form veränderte.

Dies war die Art und Weise, auf die eine intelligente Einheit funktionierte. Und doch war es eine Schadstelle. Ein reines Muster der Elementdämpfung.

Muster. Ein Schadstellenmuster war immer noch ein Muster, und ein Muster war der fundamentale Hinweis auf Intelligenz. Also waren Nichtintelligenzen intelligent. Ein weiteres Paradoxon, das auf einen Fehler in Wahrnehmung oder Ratio hinwies.

Möglichkeit: Die Schadstelle war keine Schadstelle, sondern das Faksimile einer Schadstelle. Als ob ein Muster vorhanden war, dessen Vorhandensein die Aktivitäten der Elemente jedoch unterdrückte statt sie zu fördern. Eine entgegengesetzte Einheit.

Irrtum. Eine solche Einheit müßte doch eine Leere zurücklassen, wo die Elemente unterdrückt wurden: wie beim Fehlen von Elementen.

OX nahm keine solchen Leerstellen wahr. Wenn er gegebene Elemente aktivierte, dann sollte die Gegenwart eines entgegengesetzten Musters dies wenigstens hinfällig machen, so daß die Elemente unberührt erscheinen würden. Statt dessen wurden sie aktiviert - aber nicht so stark, wie es sich gehörte. Der Effekt war mehr wie ein Schirm, den Energiefluß dämpfend, aber nicht auslöschend. Eine Schadstelle, kein Muster.

OX durchlebte eine weitere Periode der Desorientierung. Mit dem Paradoxon zu kämpfen, erforderte Energie, und er hatte bereits einen Mangel an für das Überleben notwendigen Reserven.

Rechtzeitig kehrte er zu dem Problem zurück - er mußte es. Es schien, daß die letztendliche Natur der Flecken unbegreiflich war. Aber ihre wahrnehmbaren Eigenschaften konnten festgehalten und eingeordnet werden, so daß sie vielleicht zu irgendeiner Erklärung führten. Es war immer noch das beste, was er tun konnte, um das Überleben zu sichern. Wo ein Pseudomuster überleben konnte, mochte es auch ein echtes Muster schaffen.

OX entwickelte eine modifizierte Nachforschschaltung, die es ihm ermöglichte, die Flecken als einfache Muster, nicht als Musterlücken wahrzunehmen. Der Effekt war erstaunlich: Plötzlich bekam die scheinbare Zufälligkeit einen Sinn. Anstatt als Geister manifestierten sich diese jetzt als lebensfähige, wenn auch eigenartige Einheiten.

Der begreifbarste Flecken war der, der seine Umrisse veränderte. Zeitweilig war er stationär, wie ein Muster im Ruhezustand. Wenn er sich bewegte, wechselte er seine Form - wie es eine Mustereinheit normalerweise tat. Aber selbst hier gab es ein Mysterium: Der Flecken veränderte sich nicht nach den fundamentalen Regeln von Mustern. Deshalb konnte er nicht stabil sein. Und doch war er es; er formte sich immer wieder zu einer ähnlichen Konfiguration.

OX Desorientierung entstand aufs neue. Mit einer abermaligen Anstrengung modifizierte er sein rationales Grundlagenfeedback, so daß er Verwirrung und Paradox betrachten konnte, ohne darunter zu leiden. Die Qualsignale, die diese Modifizierung begleiteten, waren so stark, daß er sie niemals vorgenommen hätte, wenn da nicht die unausweichliche Alternative des Nichtüberlebens gewesen wäre.

Jetzt konzentrierte er sich auf die beobachtbaren Phänomene. Möglich oder nicht, der Flecken bewegte sich auf seine ureigenste Weise und war stabil.

Ein anderer Flecken bewegte sich, veränderte seine Umrisse jedoch nicht wesentlich. Er schien zu zirkulieren, so als wolle er seine Elemente nicht erschöpfen, was Sinn ergab. Aber er wanderte nur in diesen zwei Dimensionen.

Der dritte Flecken bewegte sich nicht. Er verschob lediglich zufällig seine Auswüchse. Er hatte dieselbe Bank von Elementen schon viel zu lange besetzt, sie aber trotzdem nicht erschöpft.

Eine weitere Unwahrscheinlichkeit: Elemente brauchten Ruhezeit, um sich wieder aufzuladen, oder sie wurden inoperativ.

Natürlich mochte ein Muster, daß Elemente dämpfte, sie nicht auf dieselbe Art und Weise erschöpfen.

Konnte OX selbst dieses Stadium erreichen? Wenn er in der Lage wäre, Musteraktivität mit Musterdämpfung abzuwechseln, mochte er unendlich lange überleben.

Überleben! Eine derartige Aussicht war die Verschwendung seiner letzten Energiereserven wert.

OX wußte nicht, wie eine solche Umkehrung erreicht werden konnte. Die Fleckenmuster wußten es, denn sie hatten sie erreicht. Er würde von ihnen lernen müssen.

Es wurde nun zu einem Problem der Kommunikation. Beim Umgang mit einer Einheit seiner eigenen Art würde OX einen Erkundungsvortex ausgesandt haben, der mit dem Vortex des anderen zusammentraf. Aber, diese Fleckeneinheiten befanden sich innerhalb seiner Eigensphäre und waren jenseits davon nicht wahrnehmbar.

Er versuchte es mit einem internen Vortex, indem er ein Submuster in seiner eigenen Wesenheit, in unmittelbarer Nähe des mobilsten Fleckens schuf. Es erfolgte keine Reaktion.

Er versuchte es mit einem von selbst vergehendem Ableger - einer weiteren Konstruktion, die er entwickelte, als die Notwendigkeit dazu entstand. Der mobile Flecken ignorierte ihn. War der Flecken letzten Endes doch unintelligent - oder lediglich unfähig, die Aktivierung der Elemente wahrzunehmen?

Er versuchte es mit anderen Varianten. Der mobile Flecken nahm keine Notiz davon.

OX war pragmatisch. Wenn die eine Sache nicht funktionierte, würde er es mit einer anderen versuchen, bis er entweder etwas fand, was funktionierte, oder bis alle Alternativen aufgebraucht waren. Seine Elemente verblichen langsam. Wenn er keine Lösung fand - Nichtüberleben.

In der Mitte der fünfzehnten Ablegervariation bemerkte OX eine Reaktion. Nicht bei dem seine Form verändernden Flecken, auf den der Ausleger gerichtet war, sondern bei dem formstabilen mobilen Flecken. Er hatte sich bewegt und stoppte abrupt.

Das Aufhören von Bewegungen bedeutete nicht notwendigerweise eine Bewußtwerdung. Es konnte den Tod anzeigen. Aber OX wiederholte die Konfiguration und richtete sie diesmal auf den zweiten Flecken.

Der Flecken bewegte sich auf den Ableger zu. Erkenntnis - oder Zufälligkeit? OX wiederholte die Figur, etwas seitlich von der ersten. Der Flecken bewegte sich auf den zweiten Ableger zu.

OX versuchte es mit einer ähnlichen Konfiguration, diesmal mit einer, die einen Bogen beschrieb, bevor sie verging. Der Flecken folgte ihr und stoppte, als die Figur verschwunden war.

OX fing an, unter einer Desorientierung zu leiden, die so etwas wie Erregung sehr nahe kam - und das trotz einer vorangegangenen Modifizierung, die diesen Selbstauflösungseffekt in ihm abschwächen sollte. Er versuchte es mit einer weiteren Variante: einer, die sich in drei Dimensionen bewegte. Der Flecken folgte ihr nicht.

Aber eine Wiederholung der zweidimensionalen rief eine neuerliche Reaktion hervor. Dieser Flecken hatte sich immer in zwei Dimensionen bewegt. Er schien unfähig, etwas in drei wahrzunehmen. Aber innerhalb dieses begrenzten Rahmens handelte er intelligent.

OX versuchte es mit einem zweidimensionalen Ableger in einer Endlosschleife. Der Flecken folgte ihm durch einen ganzen Kreislauf, stoppte dann.

Warum?

Dann beschrieb der Flecken neben dem Ableger einen eigenen Kreis. Er folgte nicht länger, er duplizierte!

OX ließ den Ableger vergehen. Der Flecken machte halt. Es gab jetzt keinen Zweifel mehr: Der Flecken war sich des Ablegers bewußt.

Der Flecken bewegte sich in einer Ellipse. OX sandte einen neuen Ableger aus, um die Figur zu duplizieren.

Der Flecken bewegte sich in einem Dreieck. OX

machte ein ähnliches dreieckiges Submuster.

Der Flecken machte halt. OX versuchte es mit einem Quadrat.

Der Flecken duplizierte es. Und der seine Form ändernde Flecken tat es ebenfalls.

OX brachte seine bedrohliche Desorientierung unter Kontrolle. Die Kommunikation war hergestellt worden nicht mit einem Flecken, sondern mit zweien.

Überleben!